direkte Bereichesauswahl

Bargeldlos in Indien

Eine über Nacht ausgerufene Währungsreform brachte mich in Schwierigkeiten. Plötzlich war ich bargeldlos in Indien.

Der Kampf gegen Korruption und Schwarzgeld veranlasste die indische Regierung im November 2016 zu einem drastischen Schritt. Völlig überraschend erklärte sie die am meisten verbreiteten 500 und 1.000 Rupien Scheine über Nacht für ungültig. Stellen Sie sich vor, hierzulande wären von jetzt auf gleich unsere 5 und 10 Euro Scheine wertlos. Wir würden dann vermutlich im Geschäft mit Karte oder inzwischen mit dem Smartphone bezahlen und in aller Ruhe unsere alten Scheine gegen neue eintauschen. Aber in Indien, wo der Großteil der Bevölkerung das Bargeld bündelweise in den Hosentaschen mit sich herumträgt, kam es zu gravierenden Problemen.

Vor den Bankfilialen kam es zu chaotischen Szenen. Für den Umtausch der wertlosen Scheine wurde eine relativ kurze Frist von 50 Tagen gesetzt. Es wurde ein neuer 2.000 Rupien Schein eingeführt, der die Probleme zunächst verschärfte. Händler verweigerten die Annahme, da sie mangels kleinerer Scheine kein Wechselgeld herausgeben konnten. Außerdem wurden die neuen Scheine zu langsam gedruckt, so dass viele Geldautomaten dauerhaft leer blieben.

Zum ersten Mal befürchtete ich auf Reisen ohne Bargeld dazustehen. Ausgerechnet in einem Land, wo es dringend notwendig ist welches zu haben. Ich klapperte so viele Bankfilialen wie möglich ab, aber egal in welchen Geldautomaten ich meine Kreditkarte steckte, ich wurde ohne Geld abgewiesen.

Irgendwann kam mir eine ältere Dame aus England entgegen, die gerade ein Bündel Bargeld verstaute. Ich sprach sie sofort an und sie verriet mir ihr Geheimnis. Jeder Geldautomat schien auf einen fixen Ausgabebetrag pro Karte programmiert worden zu sein. Und exakt diesen Betrag muss man abheben - nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ansonsten wird die Auszahlung verweigert. Um es spannender zu machen gab es keinen einheitlichen Auszahlungsbetrag, sondern von Automat zu Automat unterschiedliche.

Ich versuchte sofort mein Glück und tatsächlich war es so. Mehrfach probierte ich mit meiner Kreditkarte an ein und demselben Automaten alle Beträge durch, bis er endlich die erhofften Scheine auswarf. Da dies nur einmal pro Karte und Tag möglich war klapperte ich einige Filialen ab und bevorratete mich, da mich meine Reise auch noch in ländlichere Regionen führen sollte.

In der Tat kam es mangels Wechselgeld zu mehr als ungewöhnlichen Situationen, wie zum Beispiel größere Portionen in Restaurants oder dem Versprechen am nächsten Tag wieder dort speisen zu dürfen ohne erneut zahlen zu müssen. Andere wiederum verstanden den Differenzbetrag als Trinkgeld.

Ich hatte mich schon damit abgefunden meinen letzten Schein komplett für ein Curry am Flughafen loszuwerden, denn selbst dort wurde mit riesigen Schildern auf das Problem hingewiesen. Ich staunte nicht schlecht, als man mir mit der Rechnung acht Tafeln deutsche Schokolade als Wechselgeld auf den Tisch legte.

Die Inder stürzte dieser radikale Schritt in chaotische Zustände, bei denen es auch Todesopfer zu beklagen gab. Was für mich unangenehm war, war für die Einheimischen existenzbedrohend. Über 250 Millionen Menschen in Indien haben kein Bankkonto. Insbesondere in ländlichen Regionen konnte man den Menschen Ihre Löhne nicht mehr auszahlen. Heute weiß man, dass die Wohlhabenden verschiedene Wege gefunden haben ihr illegal gehortetes Geld reinzuwaschen, während die ärmere Bevölkerung sich keine Lebensmittel mehr kaufen konnten.

Politisch geschadet hat es dem verantwortlichen Premierminister Narendra Modi nicht. Seine Partei wurde bei den darauffolgenden Wahlen mit großer Mehrheit wiedergewählt und er in seinem Amt bestätigt.